Erfolgsfaktoren im Projektmanagement
Der PMI „Pulse of the Profession (R) Report 2023“: POWER SKILLS und andere Erfolgsfaktoren für das Projektmanagement. Wenn aus Management Führung wird.
Ein Erfahrungsbericht.
Vielleicht kennen Sie auch verschiedene umsetzungsstarke, High Performing Teams?
Teams, denen scheinbar alles gelingt. Die z.B. den Hong Kong International Airport „on time and under budget“ gebaut haben [1], die die Transformation des VEB Carl-Zeiss-Jena in die Marktwirtschaft erfolgreich durchgeführt haben, die in IT-Projekten Störungen, die andere Teams um Monate in Verzug bringen, innerhalb von Minuten lösen oder die in Verhandlungen ihre Interessen auch gegen scheinbar übermächtige Parteien sicher durchsetzen.
Seit mehr als 30 Jahren darf ich in und mit solchen Teams arbeiten. Erst als Mitarbeiter, heute als Berater, als Konfliktmanager und Mediator.
Dabei ist es für mich immer wieder interessant zu sehen, dass diese Teams ihre Projekte mit Scrum oder dem Wasserfallmodell gleichermaßen erfolgreich umsetzen und dass das Mindset der Stakeholder dabei für sie keine Rolle spielt. Sie „nehmen die Leute, wie sie sind“. Auch schwierige Stakeholder. Auch in schwierigen Situationen.
Was ist ihr Geheimnis? Was machen diese Teams anders? Was sind die Erfolgsfaktoren?
Das PMI hat seinen aktuellen „Pulse of the Profession® Report 2023“ genau diesen Erfolgs-faktoren gewidmet. Der Report benennt 10 POWER SKILLS. Vier dieser POWER SKILLS hebt er wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Projekterfolg hervor. [2] [3]
„Step outside the iron triangle of scope, cost and time, and take note of the power skills that contribute to the everyday dynamics of project management.“ [4]
Die Empfehlungen des Reports decken sich weitestgehend mit meinen Erfahrungen im Krisen- und Konfliktmanagement in und für erfolgreiche Projektteams und Organisationen.
Der Weg zum Projekterfolg ist kein Geheimnis. Lesen Sie, wie Sie die POWER SKILLS auch für ihre Projekte nutzen können.
Erfolgsfaktor: Unternehmenskultur
Ein erster wichtiger Erfolgsfaktor erfolgreicher Teams, ist aus meiner Erfahrung ihre Kultur. Die Art, wie sie zusammenarbeiten. Welche Ziele sie verfolgen. Wie sie ihr Handeln priorisieren, wie sie Managementmethoden und -prozesse nutzen. Im Report wird die Kultur als organizational DNA [6] beschrieben.
Eine wie ich finde, treffende Bezeichnung, weil sie einen grundlegenden Unterschied zu den anderen, nicht so erfolgreichen Unternehmen aufzeigt. Anders als die Mehrzahl der Projektteams und Unternehmen, die den Vorgaben der aktuellen Managementmethoden und Systeme folgen und versuchen die Projekte als fragmentierte und linearisierte Prozesskette zu steuern, regeln die erfolgreichen Teams und Organisationen das Verhalten der Stakeholder und der Prozesse im Kontext der Komplexität und Dynamik des Systems, des gesamten Ganzen. Immer.
Für sie sind die Prozesse und Methoden Mittel zum Zweck. Ihr Zweck ist es, mit dem Handeln und den Ergebnissen den Fortbestand des Systems, des Unternehmens, der Organisation oder des Teams zu sichern. Gegebenenfalls auch auf anderen Wegen, mit anderen Ergebnissen, anderen Prozessen und Stakeholdern. Für sie sind Veränderungen keine Störung. Störungen sind in ihrer Wahrnehmung wichtige, zur Zielerreichung notwendige Impulse. Impulse, die auf einen möglichen Anpassungsbedarf, also auf Veränderungen im System, in der Komplexität ihres Umfelds hindeuten.
Mit anderen Worten für den Erfolg des Projektes sind weniger die Prozesse, weniger die Methoden und Techniken entscheidend als vielmehr eine durchgängige ziel- und ergebnis-orientierte Zusammenarbeit. Oder wie es im PMI Report heißt: Project management approach — agile, traditional or hybrid — also did not impact these results. [5]
Die Herausforderung dieser Teams besteht darin, sicherzustellen, dass die Stakeholder ihr individuelles Handeln so an die Veränderungen anpassen, dass sie in der Folge weiter motiviert und committet sind, im Sinne des Systems verlässlich ziel- und ergebnisorientiert zusammenzuarbeiten.
Dabei reduzieren die erfolgreichen Organisationen die Stakeholder, Personen oder Institutionen oder Teams nicht auf eine Rolle oder Stelle im Prozess oder auf die Ergebnisse, die sie erbringen sollen. Sie stellen das Verhalten in Relation zu den Zielen und „streiten“ zusammen um die bestmögliche Strategie, das bestmögliche spezifische Handeln der Stakeholder.
Das heißt, dass sie in ihrer Unternehmenskultur die Komplexität und die damit verbundenen Vielzahl unterschiedlicher, auch konkurrierender Interessen und Positionen, also Konflikte bewußt in Kauf nehmen. Anders als in den meisten Managementsystemen, in denen Konflikte und die Konfliktlösung als ein zusätzlicher Aufwand verbucht werden, gehören Konflikte und die Konfliktlösung in ihrer Wahrnehmung der erfolgreichen Organisationen zum „offiziellen und planmäßigen“ Teil ihrer Kultur und ihres Tagesgeschäftes.
Diese Art, mit der Komplexität und den Unsicherheiten, den Konflikten und Veränderungen umzugehen, ist m.E. Ausdruck für eine besondere agile und organisationale Reife.
Nach meiner Erfahrung erlaubt ihnen diese Reife ihre Kompetenzen um ein Vielfaches stärker, tatsächlich im Sinne von „Power Skills“ zu nutzen und so ihre Ziele deutlich schneller und verlässlicher zur erreichen als das die anderen Teams können.
Erfolgsfaktor: Kommunikationskompetenz
Ein anderer Unterschied und Erfolgsfaktor der erfolgreichen Teams liegt wohl darin, wie sie in ihrer Zusammenarbeit kommunizieren.
Sie kommunizieren, um zu führen. Sie kommunizieren, um den Stakeholdern Sicherheit zu geben, mit den Veränderungen und der Komplexität sicher umzugehen. Deshalb kommunizieren sie vollständig oder anders gesagt systemorientiert.
Das heißt, sie informieren die Stakeholder „vollständig“. Die Stakeholder erhalten alle Informationen die notwendig sind um optimal planen und handeln zu können. Sie erhalten dazu neben den zur Steuerung der Prozessebene relevanten „Zahlen, Daten, Fakten“, auch die zur Steuerung der Zusammenarbeit relevanten Informationen zum Zustand und der Qualität der Beziehung zwischen den Stakeholder. Über deren Motivation, das Commitment, die Akzeptanz oder eine mögliche Ablehnung eine Aufgabe wie vereinbart umzusetzen.
Während die weniger und durchschnittlich erfolgreichen Teams mit Managementmodellen arbeiten, die die Komplexität des Systems versuchen auf einen komplizierten linearen Prozess zu reduzieren, erweitern die umsetzungsstarken Teams und Organisationen die Komplexität ihrer Managementmodelle und Systeme. Aus Management wird Führung.
Sie geben ihrem Managementsystem damit eine Seele.
Technisch gesehen, integrieren die erfolgreichen Unternehmen dazu einen kontinuierlichen Feedback-Prozess in ihre Managementmodelle und -systeme. Über diese Feedback-Schleife kommunizieren sie die für eine robuste ziel- und ergebnisorientiert Zusammenarbeit relevanten Informationen zur Motivation und dem Commitment der Stakeholder. Das kann ganz einfach ein Blick sein, ein Zwischenruf oder auch ein komplexeres „Reporting“ zur Motivation der Stakeholder.
Im Ergebnis können sie damit mögliche Störungen und Konflikte in der Zusammenarbeit schon auf der Motivations- und Beziehungsebene erkennen und ausräumen. Also lange bevor diese eskalieren und als Streit oder „Dienst nach Vorschrift“ die Zusammenarbeit in einem Prozess behindern oder blockieren.
Erfolgsfaktoren: Führungs- und Problemlösungskompetenz
Oftmals reicht das „Beziehungs-Wissen“ allein schon aus, dass auch „nur“ durchschnittlich erfolgreiche Teams ein Projekt erfolgreicher als bisher umzusetzen, weil sie durch die gesteigerte Aufmerksamkeit mögliche Störungen bei ihrem Eintreten wahrnehmen und lösen können und nicht erst, wenn diese sich durch einen Schaden manifestiert.
Die effektiven und hocheffizienten Teams gehen jetzt noch die berühmte „Extrameile“.
Sie entwickeln ihre Kompetenzen, ihre Skills mit wenig Aufwand gezielt zu wirklichen „Power Sills“. Während die weniger erfolgreichen Teams oft über Wochen oder Monate über eine Aufgabe, ihre Lösung und Ausführung streiten, haben die erfolgreichen Teams diesen Konflikt in wenigen Minuten oder Stunden gelöst. In der Folge haben sie deutlich mehr Zeit und Ressourcen, um auch die eigentliche Aufgabe schneller und verlässlicher als andere lösen zu können.
Dazu entwickeln und trainieren die umsetzungsstarken Teams, neben ihrer fachlichen Problemlösungskompetenz auch ihre Problemlösungskompetenz auf der Motivations- und Beziehungsebene, ihre Führungs- und Konfliktlösungskompetenz.
Das heißt, sie lernen die Probleme auf der Motivations- und Beziehungsebene (Konflikte) genauso systematisch zu lösen, wie sie es gelernt haben, die Probleme auf der fachlichen Ebene systematisch zu lösen. Dazu lernen sie spezielle mediative Techniken kennen und anzuwenden.
Im Ergebnis können sie damit neben den zur Steuerung der Prozesse notwendigen „Zahlen, Daten, Fakten“ bei Bedarf auch die zur Steuerung der Zusammenarbeit relevanten Informationen über die Qualität der Beziehung der Stakeholder kommunizieren und so die Probleme auf der Beziehungsebene selbst lösen. Oder sie integrieren bei Bedarf ggf. spezielle Prozesse oder Institutionen wie zum Bsp. ein „Alternative Dispute Resolution Board“ oder qualifizierte Mediatoren in ihre Management- und Kommunikationsprozesse, vor allem dann, wenn z. B. aufgrund der Größe oder der Art der Projekte Konflikte und Störungen zu erwarten sind, die nicht eskalieren dürfen.
Erfolgsfaktor: Umsetzungskompetenz – Implementierung und Ergebnisse
Die Einführung des Feedback-Prozesses, die Integration der Beziehungsebene in die Managementmodelle und -systeme macht aus den prozessorientierten Management-systemen robuste Führungsinstrumente und führt zu paradoxen Ergebnissen.
Das Paradoxon dabei ist, dass sich mit der Erweiterung der Komplexität und des Umfangs an Informationen der Aufwand der Kommunikation, der zur Regelung des Systems im Ganzen notwendig ist, um ein Vielfaches verringert. Von Wochen oder Monaten oft auf Minuten oder Stunden.
Oft halten die Bereitschaft, die Freude und der Wille, die POWER SKILLS einzusetzen, nicht lange an. Den Erfolgen, die mit den POWER SKILLS erreicht werden können, steht ihre Anwendung und der Anwendung oftmals die fehlende Akzeptanz im Tagesgeschäft im Weg. Erfahrungsgemäß sind es weniger fehlendes Wissen oder Können als vielmehr individuelle Erfahrungen und andere abweichende Erwartungen, Bedürfnisse und Vorstellungen, die die Stakeholder davon abhalten, die POWER SKILLS systematisch zu nutzen.
Übersetzt man „relationship building, collaborative Leadership und problem-solving“ [7] mit der Notwendigkeit, sich im Tagesgeschäft auf schwierige Partner einlassen zu müssen und Konflikte, also Probleme auf der Beziehungsebene selbst lösen zu müssen – geht die Bereitschaft die POWER SKILLS einzusetzen und zu nutzen schnell wieder verloren.
Wissen, Fakten- und Methodenwissen sind nutzlos, wenn die Stakeholder nicht motiviert und nicht bereit sind, dem Wissen entsprechend zu handeln und die Methoden anzuwenden. Es ist die Aufgabe von Führung, solche Lücken in der Motivation und in der Bereitschaft der Stakeholder zum Handeln zu erkennen und zu schließen.
Deshalb habe ich das Vorgehen zur Modellierung und zur Implementierung der POWER SKILLS in das von einem Team verwendete Managementsysteme systematisiert und in einem Do-It-Yourself-Tool zusammengefasst. Ich nenne es: ErwartungsManagement®.
Das DIY-Framework ergänzt die vom Projektteam verwendeten Managementsysteme mit einem belastbaren Modell der Beziehungsebene und macht sie so zu hoch wirksamen und im Tagesgeschäft bewährten Führungsinstrumenten.
In diesem Sinn möchte ich Sie ermutigen, dem PMI zu folgen und die Erfolgsrate ihrer Projekte systematisch zu erhöhen. So ungewohnt das Vorgehen vielleicht auch erscheint, es funktioniert und es lohnt sich.
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[1] Dispute Resolution Boards and the Hong Kong Airport: An Exciting Example of Commercial Dispute Resolution in Action, p.3
[2] Pulse of the Profession® 2023 pg.5
[3] Pulse of the Profession® 2023 pg.6 / pg.20
[4] Pulse of the Profession® 2023 pg.6 / pg.15
[5] Pulse of the Profession® 2023 pg.15
[6] Pulse of the Profession® 2023 pg.15
[7] Pulse of the Profession® 2023 pg.9